Interview: "Das gesamte Wohnumfeld muss passen.“

Wohnpsychologe Dr. Harald Deinsberger-Deinsweger erklärt die Bedürfnisse der Kinder im eigenen Wohnumfeld – und wo sie sich von jenen der Eltern unterscheiden.

Wo liegt der größte Unterschied zwischen den Wohnbedürfnissen von Erwachsenen und Kindern?

Deinsberger-D.: Für Eltern hat die Wohnung meist die Funktion der Erholung und Entspannung. Für Kinder ist sie aber der Lebens- und Erfahrungsraum. Hier bestehen teilweise gegenpolige Bedürfnisse. Deshalb sollten Eltern innerhalb des Wohnraums sowohl Zimmer und Bereiche für Kinder als auch für sich definieren. So gilt das Schlafzimmer als Rückzugsraum für die Eltern, während Kinder ein eigenes Spielzimmer haben bzw. einen Spielbereich im Wohnzimmer. Das Wohnzimmer so einzurichten, dass sich alle Familienmitglieder darin wohl fühlen, ist eine Herausforderung.

Wie kann man sich als Erwachsener am besten in die Wohnbedürfnisse von Kindern hineinfühlen?

Deinsberger-D.: Viele Erwachsene versuchen sich an die eigene Kindheit zu erinnern, aber das funktioniert nicht wirklich gut. Entgegen der eigenen Wahrnehmung haben wir nur sehr vage Erinnerungen an die Kindheit. Am besten einfühlen kann man sich durch die „Nicht eingreifende Beobachtung“ – wenn man ein Kind aufmerksam und möglichst unvoreingenommen beobachtet, dann sieht man bereits viel von dem, was es braucht und will.

Welches Wohnbedürfnis von Kindern wird häufig vergessen?

Deinsberger-D.: Es gibt mehrere, die drei wichtigsten sind:

1. Das Bedürfnis nach Geborgenheit. Kleine Leute brauchen kleine Räume, heißt es so schön. Für Kinder sind Rückzugsnischen sehr wichtig, wie beispielsweise eine kreativ gestaltete Spielzeughöhle aus Vorhängen.

2. Das Bedürfnis nach Erlebnisgehalt. Bei allen Aufenthaltsbereichen ist der sogenannte „Environmental Enrichment Faktor“ förderlich für die Gehirnentwicklung. Kinder erfahren den Raum sinnlich und durch Interaktion. Kindergehirne sind in Entwicklung und brauchen mehr Stimuli.

3. Das Affiliationsbedürfnis, also das Bedürfnis, die Nähe von anderen Menschen zu spüren, ist bei Kindern stärker als bei Erwachsenen.

Dr. Harald Deinsberger-Deinsweger

 

"Kinder brauchen Interaktion, für sie ist der Lebenserfahrungsgehalt wichtig."

Dr. Harald Deinsberger-Deinsweger
Wohnpsychologe

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Und bei Außenräumen?

Deinsberger-D.: Auch bei Außenräumen gilt: Kinder brauchen Interaktion, für sie ist der Lebenserfahrungsgehalt wichtig. Ein kindgerechter Garten bietet nicht nur Spieleinrichtungen wie zum Beispiel Trampolin, Sandkiste oder Planschbecken, sondern auch genügend Raum für eigene Gestaltungsmöglichkeiten. Kinder wollen forschen und entdecken. Für sie ist es eine Bereicherung, wenn sie im Garten eigene Blumen oder Bäume pflanzen, auf Hochbeeten Gemüse ernten oder aus Steinen, Stöcken und anderen Materialien Figuren, Behausungen oder sonst was formen und ihren Garten selbst dekorieren können. Terrasse und Balkon sind hingegen ideal für Erwachsene zur Erholung.

Ab welchem Alter ist es sinnvoll, Kinder bei der Gestaltung und Aufteilung der Wohnräume miteinzubeziehen?

Deinsberger-D.: Ab jenem Zeitpunkt, ab dem das Kind dieses Bedürfnis zeigt. Im Regelfall ist das ab dem Kindergartenalter.

In welchem Alter kann man ein Zimmer mit einem Geschwisterkind teilen?

Deinsberger-D.: Es gibt vor allem kleinere Kinder, die sich nicht gerne alleine in einem Raum aufhalten. Für sie ist es sogar ein Vorteil, wenn sie gemeinsam sind. Ab dem Teenageralter wünschen sich die meisten Jugendlichen hingegen ihre eigenen Räume. Wichtig sind aber vor allem die Möglichkeiten der Kinder und Teenager, sich außerhalb des eigenen Zimmers und auch außerhalb der eigenen Wohnung bewegen zu können. Das gesamte Wohnumfeld muss passen.